Alpenglühen

Der Schrei der Berge, das ist ein dumpfer Hall, den beißend-kalter Morgenwind über den See herüberbringt. Ein Grollen und Dröhnen, das langsam näher kommt; Totenglocken läuten im dumpfen Echo tausendjähriger Ewigkeit; Felswände erzittern. Der Pötschen-Pass versinkt im Altausseersee in flammendem Schein und Rauch.

Der Schrei der Berge, das ist ein letztes Alpenglühen und Abgesang an den Ort, an dem er sich dauernd niederlassen wollte, ein Tal im Toten Gebirge, dessen Landschaft ihm zum Freund geworden war. 

Der Schrei der Berge, das ist der Schmerz in seiner Brust, der Tod des Führers und des Reichs.

Der Schrei, sein Untergang: abgrundtief

Altaussee, 7. Mai 1945, 5 Uhr 45, Sonnenaufgang. Ein Mann in Uniform steht am See. Sein Blick ist auf den Pötschen-Pass gerichtet, wo die geflohene SS-Wachmannschaft des nahen Konzentrationslagers Ebensee im Kampf zur Verteidigung der Alpenfestung erbärmlich zugrunde geht. 

Langsam lässt der Mann seine Hand in ein lederne Aktentasche gleiten in der sich seine Dienstpistole befindet. Ein Schuss, ein letzter Knall wird in den Bergen verhallen, ausklingen der finale Akt der Götterdämmerung. Doch liegt keine Waffe in seiner Hand, sondern das Zeichen seiner erstorbener Macht. Zögerlich hält er noch einen Moment inne, dann versinkt sein Dienstsiegel im See. Im frühlingshellen Licht der steirischen Berge inszeniert Ernst Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin, den Untergang des Deutschen Reiches als seinen Übergang. Er hat seine Flucht geplant: ein paar Tage in den Bergen verstecken, abwarten bis die alliierte Koalition zerfällt und sich dann den Amerikanern als Führer eines freien, anti-bolschewistischen Österreichs stellen. Das ist sein Plan. Nun ist es an der Zeit, er muss los.

Author: freakingcat
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