Barmherzigkeit

Ein leises, klägliches Wimmern, das der Wind in die Ohren des alten Fischers trug, ließ Kali innehalten, als er an der alten Kirche vorbeischlurfte. Er horchte. Hier war es wieder, ein schmerzvolles Weinen, das aus den Ruinen des zerstörten Gotteshauses kam.

Mit unstetem, noch von der See trunkenem Schritt, wankte der alte Mann durch eine halbwüchsige Düne aus feinem weißen Sand, den der Wind letzte Nacht vor dem torlosen Kirchenportal zusammengeblasen hatte und schritt suchend das Kirchenschiff entlang, dessen Himmelsdach gerade im Licht des anbrechenden Morgens im kräftigen Rot eines schwül-heißen Sommertages aufglühte. Dort wo einst der Altar stand, an dem der Priester immer und immer wieder seine Gemeinde vor den tragischen Folgen des Sündenfalls warnte, lag ein vor Schmerzen zusammengekrümmter Hund, dessen Rücken eine einzige infizierte Brandwunde war. Kali kam näher und stellte fest, dass der Hund noch atmete, aber kaum mehr bei Bewusstsein war und wahrscheinlich nicht bis zum Sonnenuntergang überleben würde. Obwohl ihn seine alten Knochen schmerzten bückte er sich tief und nahm behutsam den Hund in seine Arme und trug ihn in seine Fischerhütte, wo er ihn auf die einzige Strohmatte seiner kargen Behausung legte. Er fachte ein Feuer an und schuppte mit einem Messer die gefangenen Fische, schnitt ihnen die Bäuche auf und entfernte gekonnt die Eingeweide, bevor er sie mit reichlich Salz und ein wenig Öl bedeckte und in einen Tontopf warf, der an einem Eisenhaken über der Feuerstelle baumelte.


Während sein Essen vor sich hin köchelte, nahm er eine Turmeric Wurzel und rieb sie an einem flachen Stein zu Pulver, das er mit Kokosnuss-Öl zu einer Paste vermengte, die er behutsam auf der Brandwunde am Rücken des Hundes verteilte. Dann verliess der alte Mann die Hütte und kam einige Minuten später mit dem Stamm einer abgeschnittenen Bananenstaude wieder, den er in kleine Stücke zerteilte und mit seinem Messer einritzte und klarflüssiger Bananensaft austrat. Er zerschnitt einen verschlissenen Lunghi in lange Streifen mit denen er daraufhin die Bananenstaude auf die Wunde band.


Dann widmete sich der Fischer wieder seinem Essen zu, rührte die Fische mit einem Bambusstock um, warf eine Handvoll scharfer roter Chillies dazu, schöpfte fermentierten Reis aus einem im Sand versenkten Tontopf und richtete das ganze mit ein paar rohen Zwiebeln und grünen Chili-Schoten auf einem Bananenblatt an. Die Finger seiner rechten Hand zupften kleine Fleischstücke aus den Fischen und formten kleine Reisbällchen, die er sich gekonnt mit dem Daumen in seinen Mund schob.


Vom Duft des Essens aus tiefer Bewusstlosigkeit zurückgeholt, öffnete der Hund plötzlich seine Augen und blickte den alten Mann verwirrt und hilfesuchend an. Vorsichtig schob dieser seine flache Hand unter den Kopf, hob ihn sanft an und flösste ein wenig Wasser in das Maul des Hundes.

Als die Sonne den Zenit durchwanderte und den Sand heiß wie glühende Lava werden ließ, stillte der alte Mann seinen Durst mit fermentierten Reiswein, den er selbst vor vier Wochen angesetzt hatte und schob dem Hund kleine Fischstückchen ins Maul, die dieser nur mit Mühe schluckte. Abends, als schon längst die Sterne am Himmel standen warf der Fischer weder seine Netze aus, noch lag er vom Rausch des Weingeistes niedergestreckt in seiner Hütte, sondern wusch behutsam die Wunde mit Wasser, erneuerte den Verband und begann, während er den Hund sanft am Kopf streichelte, mit seiner rauen Stimme leise ein Schlaflied zu singen, das ihm einst seine Mutter vorgesungen hatte, als er noch auf ihrem Schoß gesessen war.

Author: freakingcat
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