Die Registrierung der Grieskirchner Nazis

Als die Amerikaner Anfang Mai 1945 den Gau Oberdonau aus dem Würgegriff einer siebenjährigen Nationalsozialistischen Herrschaft befreien und Oberösterreich zur amerikanischen Besatzungszone erklären, sehen sie sich bald mit der Frage konfrontiert: Wie geht man mit hunderttausenden— nun politisch desorientierten— früheren NSDAP-Mitgliedern um?

Sieger und Besiegte

Während in vorhergegangen Kriegen diese Trennung eine sehr klare war, finden die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine vollkommen neue Situation vor. Zwar ist Hitler endlich tot und sein verkohlter Körper unter den Trümmern seines tausendjährigen Deutschen Reichs begraben, doch lebt in den Köpfen vieler Menschen die Ideologie des Nationalsozialistischen Terrorregimes weiter.

Zwölf Jahre lang hämmert Göbbels totalitäre Propaganda-Maschinerie den Hass auf Juden und Andersdenkende und die Überlegenheit der eigenen, der deutschen Rasse in die Köpfe der Menschen, die sich kritiklos dem Willen ihres Führers unterwerfen. Der Nationalsozialismus überlebt den Untergang im Denken der Bevölkerung. Den alliierten Siegern bleiben nur zwei Möglichkeiten um sicherzustellen, dass sich nach ihrem Abzug kein 4. Deutsches Reich aus dem Schutt der Vergangenheit erheben würde. Entweder all jene ehemaligen Nazis sofort töten oder ihr Denken von allen Einflüssen des Nationalsozialismus zu „säubern“.

Die Entnazifizierung – ein Unwort

Das (Un)wort der „Entnazifizierung“ wird geboren und soll für das erste Mal in der Weltgeschichte, die Bevölkerung eines besiegten Landes, in friedensliebende, demokratieverherrlichende, kritisch denkende und hart arbeitende Bürger verwandeln und so immerwährenden Frieden garantieren. Diesen utopischen Träumereien verfallen vor allem die Amerikaner und beschließen, dass das perfekte Mittel um die Nazi-Doktrin ein für alle mal aus den Köpfen der Bevölkerung zu vertreiben, ein Fragebogen sein muß.

Wieder auf dem österreichischen Boden der tristen Nachkriegsrealität ihrer amerikanischen Besatzungszone gelandet, wird den Amerikanern, die Unmöglichkeit eines Unterfangens wie der Entnazifizierung der ganzen Bevölkerung eines Landes klar. Schnell findet man eine Lösung: Sollen sich doch die besiegten Österreicher selbst „entnazifizieren”, beschloss man in Rettung seines eigenen Rufs. Im Februar 1946 wird der österreichischen Regierung die Entnazifizierungskompetenz für das ganze Land übertragen und über sie gleichzeitig das Damoklesschwert der Wiedererlangung der Eigenstaatlichkeit und Freiheit gehängt. „Ohne Entnazifizierung, kein Staatsvertrag“, lautet die Devise.

Grundlage für den österreichischen Versuch einer Entnazifizierung sind unter anderen das “Verbotsgesetz” vom Mai 1945, welches die NSDAP und ihre Gliederungen verbietet, eine Registrierung der Nationalsozialisten bestimmt, Strafbestimmungen für “Illegale” und “schwer belastete” Nazis festsetzt sowie Volksgerichte zur Aburteilung der NS-Verbrecher errichtet.

Eine Drei-Parteien-Einigung führt im Februar 1947 das Nationalsozialistengesetz ein, mit einer Einteilung der Registrierten in Kriegsverbrecher, Belastete und Minderbelastete womit nunmehr neben der Frage der Parteizugehörigkeit, das Ausmaß und die Art der nationalsozialistischen Aktivität im NS-Regime im Vordergrund stehen.

Mit vollem Elan und Entschlusskraft geht das das junge Österreich die Säuberung des eigenen Landes an: Kriegsverbrecher, sofern sie nicht schnell genug über Rattenlinien ins rettende Südamerika fliehen oder als braune U-Boote in der Anonymität einer komplizit schweigenden Bevölkerungsmasse abtauchen konnten, werden von Volksgerichten zu langjährigen Haftstrafen oder sogar zum Tode verurteilt. Doch sehr schnell wandelt sich der Wille zur Entnazifizierung in eine, von wählerstimmen-gierigen Parteien betriebene Konsenspolitik, so dass die, oftmals mit ehemaligen Nazi-Richtern besetzten Volksgerichte, immer öfters, selbst den schlimmsten Kriegsverbrechern, in skandalösen Freisprüchen, weiße Westen ausstellen.

Die Registrierung der Nazis

Obwohl aufgrund der Verordnung vom 11.6.1945, StBGl. Nr. 13 die ehemaligen NationalsozialistInnen verpflichtet sind sich selbstverantwortlich zu registrieren, weiß man dass der Widerwille, seine eigene braune Vergangenheit freiwillig amtlich zu melden und dadurch öffentlich bekannt zu machen, bei den meisten Ehemaligen so stark ausgeprägt ist, dass man ihn nur brechen kann, indem man die Registrierung zu einer Überlebensfrage macht. Ein kluger Kopf kommt auf die Idee, die Registrierung der NationalsozialistInnen an den Erhalt von Lebensmittelkarten zu koppeln.

Die für die Stadt Grieskirchen zuständige Meldestelle befindet sich im Gemeindeamt. An Hand der ausgewerteten Daten der Meldeblätter wird eine amtliche Registrierungsliste angelegt. Um einer kollektiven Amnesie und allzu kreativen Auslegung beim Ausfüllen des Fragebogens Einhalt zu gebieten, wird die Registrierungsliste öffentlich ausgehängt.  Jedermann ist berechtigt sie einzusehen und Änderungen, sofern unrichtige oder unvollständige Daten bemerkt werden, vornehmen zu lassen.

Nach Überprüfung des Fragebogens teilt ein „Entnazifizierungsbeamter“ die AntragstellerInnen in eine von vier Kategorien ein: Kriegsverbrecher und Belastete, Illegale und Minderbelastete, auch als Mitläufer bezeichnet. Für den ehemaligen Nationalsozialisten hängt viel davon ab, in welche Kategorie er eingestuft wird. Je nach Art und Ausmaß der früheren nationalsozialistischen Betätigung reicht die Palette der Bestrafungen von Freiheitsentzug bis zur Sühnepflicht, welche mit finanziellen Sühneabgaben, dem Verlust der Arbeit, Berufsverbot, sowie der Streichung sämtlicher Privilegien, die sich so manch einer in opportunistischer Weise durch geschicktes Hochschleimen oder Denunzieren anderer im NS-System erworben hatte, verbunden waren.

Der arme Bürgermeister


Wie groß noch ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Not des täglichen Überlebens und die allgemeine Ressourcenlosigkeit, nicht nur unter der Bevölkerung, sondern auch bei der Stadtgemeinde Grieskirchen ist, spiegelt sich in der Art des Briefpapiers wieder, welches Bürgermeister Gföllner verwendet, um darauf wöchentliche Berichte über den Fortschritt der Registrierung an die Bezirkshauptmannschaft zu tippen. Er benutzt die Briefvordrucke, welche schon der Nazi Bürgermeister Dr. Peyrer-Heimstätt verwendet hatte und die mit dem Titel „Der Bürgermeister der Kreisstadt Grieskirchen, Oberdonau“ überschrieben sind. Mit seiner Schreibmaschine entnazifiziert Gföllner das offizielle Briefpapier, indem er das Wort „Kreis“ streicht und „Oberdonau“ mit „Oberösterreich“ ersetzt.

Die Wochenberichte über den Ablauf der Nationalsozialistenregistrierung der Stadt Grieskirchen erlauben uns einen Blick hinter die Kulissen einer wohl gut-gemeinten, jedoch sowohl auf Lokalebene, wie auch in ganz Österreich, völlig gescheiterten Säuberung der Bevölkerung von allen Spuren der Nazi-Ideologie.

Die Wochenberichte

Am 12.2.1946 fasst Bürgermeister Gföllner in einem ersten Bericht an die Bezirkshauptmannschaft seine Eindrücke zusammen: „Im Stadtgebiet Grieskirchen und in der Gemeinde Schlüßlberg wurde einen Tag nach Eintreffen der dortigen Verfügung durch gedruckte Kundmachungen die Durchführung der Registrierung verlautbart. Am Montag, den 11.2. l. J. wurde mit der Registrierung begonnen. […] Eine verhältnismässig große Anzahl der Registrierungspflichtigen gibt an, nicht in der Lage zu sein, nähere Angaben über Beitrittsdaten usw. zu geben. Manche ehemalige Soldaten geben als Daten des Austritts den Tag Ihrer Einrückung an. Von den bis Dienstag mittags eingebrachten 25 Ansuchen hat ein großer Teil Ansuchen um Abstandnahme von der Registrierungspflicht eingebracht. Mit Ausnahme eines Falles wurde bisher von allen anderen die Registrierungsgebühr entrichtet, obwohl der Betrag für manche Registrierungspflichtigen eine große finanzielle Belastung darstellt. Ansonsten verlaufen die Anmeldungen klaglos.“

Eine Woche später folgt schon der nächste Bericht: „Die Registrierung verläuft bisher klaglos […] In den meisten Fällen können sich die Registrierungspflichtigen an die Beitrittsdaten nicht mehr erinnern. Sie geben vielmehr an, daß durch eine von der Bezirkshauptmannschaft getroffene Anordnung sämtliche Personaldokumente über die Zugehörigkeit zur NSDAP vernichtet werden mußten. […] Die Registrierungspflichtigen geben in der Mehrzahl an, daß sie außer ihren Mitgliedsbeiträgen mit der NSDAP nichts zu tun hatten. Es haben auch schon einige Blockleiter ein Ansuchen um Abstandnahme von der Registrierung eingebracht.“

Nur zögerlich macht man und frau sich auf den Weg ins Gemeindeamt Grieskirchen um sich zu seiner/ihrer eigenen braunen Vergangenheit zu bekennen und die damit verbundene Sühnepflicht zu akzeptieren. Am 20. Februar meldet Bürgermeister Gföllner „Da sich bisher bei weitem noch nicht die Hälfte der Registrierungspflichtigen gemeldet haben, ist es sehr wahrscheinlich, daß in der gestellten Frist nicht alle Meldungen erstattet werden.“

Die Meldestelle der Stadtgemeinde Grieskirchen vermeldet am 22. Februar telefonisch ein Zwischenergebnis: „Bisher registriert insgesamt 245, Nachsichtsgesuche 111, Illegale [Anmerkung: NSDAP Mitglieder vor am Anschluss am 13.3.1938]: 124“. Der Bürgermeister antwortet schlagfertig: „Unter diesen 124 befinden sich 44, die im Mai 1938 in die Partei aufgenommen wurden, allerdings nicht am 1. Mai. Ich habe der Meldestelle gesagt, dass diese gedächtnisschwachen Leute ruhig zu den Illegalen gezählt werden können.“

Im nächsten Wochenbericht vom 27. Februar stellt Bürgermeister Gföllner verblüfft fest: „Auffallend ist, daß sich noch kein einziges Mitglied der SS gemeldet hat, sowie auch die Frage des Ansuchens um Aufnahme in die SS bisher von sämtlichen Registrierungspflichtigen verneint wurde.“ Der Verfasser ist von der kollektiven Beteuerung der Unschuld der Grieskirchner weniger erstaunt als der Bürgermeister. Im Bezirk Grieskirchen sind 19 „Blutordensträger und Träger des goldenen Ehrenzeichens“ verzeichnet. Es gab also guten Grund einiges zu verheimlichen.

Verwirrter Opportunismus – Zwei entschuldigte Fälle

Nach Ablauf der Registrierungsfrist und Auswertung der angegebenen Daten meldet am 2.4.1946 Bürgermeister Gföllner der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen zwei Fälle in denen „ehemalige Parteigenossen der Registrierungspflicht nicht nachgekommen [sind].“

Bei der ersten Person handelt es sich um Maria S. welche „in der von den ehemaligen Blockleitern der NSDAP aufgestellten Liste über die in Grieskirchen wohnhaften Parteimitglieder auf[scheint].“ Der zweite, der nicht dem Aufruf zur „freiwilligen“ Registrierung folgte, war Josef W., dessen „Parteimitgliedschaft […] die Registrierungsstelle durch die vom Bahnhofsvorstand in Grieskirchen eingesandte Mitteilung über die Parteizugehörigkeit der Bediensteten der österr. Staatsbahnen in Erfahrung gebracht hat.“

Das Informationsbüro der BH Grieskirchen geht der Sache nach und meldete am 16. April: „Maria S. […] wurde in ihrer Wohnung befragt, warum sie ihrer Registrierungspflicht als Nationalsozialistin nicht nachgekommen sei. Sie gab an, dass sie hierüber in völliger Unkenntnis gewesen sei und sich über die Bedeutung des Wortes „registrieren“ vollkommen im Unklaren war.“ Als Erklärung für die Verwirrung von Frau S. wird im Bericht angefügt: „Bei der Genannten handelt es sich um eine gutmütige, altersschwache Frau, die zweifellos seinerzeit nicht aus Überzeugung, sondern über Aufforderung der damaligen NS-Funktionärin, zahlendes Mitglied der NSDAP wurde. [Da sie] seit 2 Jahren ihr Wohnhaus nicht verliess, kann [sie] als eine harmlose Mitläuferin der NSDAP bezeichnet werden. Diese Schlussforderung wird auch durch eine Vorsprache der Frau von Medizinalrat Dr. Engl bestätigt.

Auf Vorladung erscheint am 16.4. der ständige Arbeiter der österreichischen Bundesbahnen Josef W. auf der Bezirkshauptmannschaft und gibt nach einer verwirrenden Einleitung seiner „Wahrheitserinnerung“, in der er seine einmonatige HJ-Mitgliedschaft zugibt, an, dass „während [ich] im Bahnhofe in Grieskirchen den Dienst eines Fahrdienstleiter-Einschülers [versah], […] habe ich innerhalb dieser Zeit für meine Dienststelle einen Fragebogen ausgefüllt, in welchem ich, um mir später eine berufliche Besserstellung zu erwirken, angegeben habe, dass ich Mitglied der NSDAP sei, obwohl dies eigentlich nie der Fall war.“

Das Informationsbüro der BH scheut keine Mühe der Wahrheit auf den Grund zu gehen und pflegt Rücksprache mit dem Vorstand des hiesigen Bahnhofes, welcher angibt, dass „W. bestimmt kein Mitglied der NSDAP war und seinerzeit im Personalfragebogen nur deshalb angegeben hatte Mitglied der NSDAP zu sein, um sich dadurch, nach seiner Neueinstellung zur damaligen Reichsbahn, einen besseren beruflichen Aufstieg zu sichern.“ Von offizieller Stelle wurde W.’s opportunistische Lüge kein Nazi gewesen zu sein, sondern sich nur nach oben hieven haben wollen, geglaubt und bestätigt „Der Genannte dürfte daher in politischer Hinsicht einwandfrei sein und nicht unter die Bestimmungen über die Registrierung ehemaliger Nationalsozialisten fallen.“ Damit ist für die Behörden die ganze Sache gegessen und abgeschlossen.

Der kuriose Fall der zwei Franz K.

Gegen die Aufnahme in die Registrierungslisten bzw. wegen der Nichtaufnahme von Nationalsozialisten in diese Listen konnten Einspruchs- und Beschwerdekommissionen angerufen werden. Natürlich wurde auch im Bezirk Grieskirchen von diesem Einspruchsrecht ordentlich Gebrauch gemacht.

Ein kurioser Fall ereignet sich in Gaspoltshofen, der in seiner Naivität typisch ist, für das vollkommene Fehlen jeglicher Selbsteinsicht oder Schuldbewusstseins der eigenen braunen Vergangenheit gegenüber und sich mit einer Unverfrorenheit und blankem opportunistischem Zynismus direkt an die österreichische Freiheitsbewegung wendet, deren Mitglieder oftmals unter Einsatz des eigenen Lebens für die Freiheit unseres Land kämpften. Lesen wir die mit Schreibmaschine getippte Anfrage der Gaspoltshofener Nachbarn Franz K. und Franz K., beide „Besitzer in Hairedt“ an die österreichische Freiheitsbewegung in Grieskirchen vom Juli 1945 im Orginalwortlaut:

„Wir die Unterfertigten wurden am 16.11.1944 von der Partei der NSDAP wegen gemäß § 4. Abs. 7 ausgeschlossen. Trotz alldem werden wir noch immer in der Liste, die in der Gemeinde Gaspoltshofen aufliegt, als gewesene Parteigenossen geführt. Als Parteigenossen kamen wir nie in Frage, da wir erst seit 1938 Parteianwärter waren und noch keine Mitgliedsnummer hatten. Jedoch hatte der gewesene Ortsgruppenleiter der NSDAP in Gaspoltshofen Dr. K. uns als Parteigenossen der Gemeinde bekannt gegeben, was unrichtig ist, denn als ausgeschlossener Parteigenosse kann ich nicht als Parteigenosse in Frage kommen. Wir bitten daher um Richtigstellung der Liste und der Gemeinde Gaspoltshofen das mitteilen zu wollen.“

Mit einem „Wir bitten daher uns an dem Aufbau des neuen Österreich teilhaben zu lassen“ schließen die beiden Gaspoltshofener Nachbarn ihren Brief ab. Es unterliegt der Interpretation des Lesers diesen Schlusssatz entweder als sarkastische Verhöhnung der österreichischen Freiheitsbewegung zu sehen oder als sehr plumpen Versuch sich bei den neuen Machthabern im Land einzuschleimen.

Auf Anfrage des Bezirkshauptmannes Dr. Hofer, der als KZ-Überlebender am eigenen Leib die Gräuel des Nationalsozialistischen Terrorregimes erfahren musste, wird der Bürgermeister von Gaspoltshofen um Aufklärung in dieser Angelegenheit gebeten.

Bereits eine Woche später antwortet der Bürgermeister in fast schon poetischer Ausdrucksweise: „Ich glaube, dass es keinem Anstand unterliegt, wenn Franz K. und Franz K. in einer Liste verzeichnet aufscheinen, dass sie früher einmal Parteigenossen waren, hierbei möchte ich hervorheben, eifrige Parteigenossenwaren. Dass die beiden Genannten von der NSDAP ausgestossen wurden, mag zutreffen, weil sie in einer Wilddiebstahlsangelegenheit verwickelt waren und K. auch tatsächlich vom Gericht wegen Wilddiebstahl verurteilt worden ist.“

Auch über den zweiten Nachbarn weiß der Bürgermeister von Gaspoltshofen interessantes zu berichten: „Franz K. war nach dem November 44 noch als Blockleiter in der NSDAP tätig, da er ja in den Listen der Blockleiter, die in den Monaten Dezember 1944 und März 1945 die Viehzählung durchzuführen hatten, aufscheint. Ab 21. März 1945 ist Franz K., der bis dahin beamteter Schuhmachermeister beim Reichsarbeitsdienst in Gallspach war und ich glaube, er hätte das nicht sein können, wenn er früher von der Partei ausgestossen worden wäre, gefänglich eingezogen worden. […] Franz K. war im Jahre 1934 aktiv beim Nazi-Putsch beteiligt und er ist damals ins Altreich geflüchtet. Er war bei der Legion und hat auch, als er zurückkam, deshalb die beamtete Schuhmacherstelle beim RAD erhalten.“

Das Ergebnis der Registrierung

In Österreich waren mehr als eine halbe Million Menschen Mitglieder der NSDAP, was etwa 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung entspricht. Ein Bericht der Bezirkshauptmannschaft an die „Militärregierung für Oberösterreich“ gibt zum „Stand der Registrierung der Nationalsozialisten mit dem Stichtag 31. August 1946“ über den Bezirk Grieskirchen folgende Auskunft:

Gesamtzahl der nach dem Verbotsgesetz Registrierte         6.396
Illegal [d.h. Parteimitglieder vor dem „Anschluss“]                  1.730
Funktionäre ab Blockleiter und Gleichgestellte                             801
Zahl der registrierten SA-Angehörigen                                            636

Aus der Stadt Grieskirchen, deren Einwohnerzahl auf dem Sammelnachweis mit 3.089 Personen angegeben wird, vermeldet Bürgermeister Gföllner am 11. März 1946 das vorläufige Ergebnis der Registrierung der Nationalsozialisten.

Gesamtzahl der Registrierten503 [16.28% der Einwohner von Grieskirchen]

1. Illegale Parteimitglieder: 131
2. Illegale Angehörige der Wehrverbände: 43
3. Parteimitglieder mit Funktionen vom Zellenleiter aufwärts:

a) Zellenleiter: 13
b) Ortsgruppenleiter: 3 (diese sind namentlich aufgeführt)
c) Ortsgruppenschulungsleiter: 1
d) Beauftragter für Vereinsliquidierung: 1
e) NSV-Ortswalter: 1
f) Ortsfrauenschaftsleiterinnen: 3
g) Kreisamtsleiter für Volkstumsfragen: 1
h) Kreishandwerkswalter der DAF und Gemeinderat der Stadt Wien: 1

4. Gliederungsangehörige vom Untersturmführer aufwärts (ausgenommen SS)

a) Sturmführer: 1
b) SA-Arzt: 1

5. Einfache Parteimitglieder und Angehörige der SA, des NSKK und NSFK: 297
6. SS-Angehörige: 3 (Ein Mann der Waffen-SS meldete sich ebenfalls zur Registrierung)
7. Parteianwärter: 52

Zahl der [Ent]Registrierungsansuchen: 355

Als Anmerkung fügt Bürgermeister Gföllner noch an: „Als illegale Parteimitglieder wurden alle diejenigen Parteimitglieder gezählt, die eine Parteizugehörigkeit zwischen dem 1.7.1933 und dem 1.5.1945 selbst zugegeben haben. Die Mitgliedskarte haben durchwegs alle Parteimitglieder verbrannt und die meisten geben auch zu, ihre Mitgliedsnummer nicht zu wissen, so daß auf Grund dieser eventuellen Angabe die Illegalität nicht festgestellt werden konnte.

355 von 503 ehemaligen NSDAP Mitgliedern, also satte 70.5% suchten um eine Ausnahme von der Registrierung als ehemalige Nationalsozialisten an, ein schockierend hoher Wert und Gradmesser, der die Weigerung der Ehemaligen, eine persönliche Mitverantwortung an der Nazi Diktatur zu akzeptieren, sehr gut widerspiegelt. Diese hohe Zahl zeigt an, wie sehr sich bereits 1946 die Österreicher, nicht nur in der Stadt Grieskirchen, sondern im ganzen Land, sich als selbst Opfer und nicht als Mittäter sahen, obwohl viele neben ihrer Parteimitgliedschaft und monatlichen NSDAP Beiträge, das totalitäre Regime der Nazi Diktatur tatkräftig unterstützten.

Die Lüge vom Opfermythos

Noch bevor das offizielle Österreich die Lüge vom „Opfermythos“ als Strategie für eine jahrzehntelange Weigerung die eigene nationalsozialistischen Vergangenheit aufzuarbeiten für sich adoptierte, beschweren sich bereits 1946 viele der, von der Registrierung betroffenen NationalsozialistInnen über die, in ihren Augen ungeheuerliche Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt.

„Nur die Pflicht habe man/frau erfüllt“„gemacht, was einem aufgetragen wurde“„war wäre einem denn auch anders übergeblieben?“ lautet der Tenor der Klagen der Ewiggestrigen. Manch einer geht sogar weit, seine eigene Unschuld, an jenen Opfern des NS-Terrorregimes zu messen, die das Glück hatten den Vernichtungswahn des Holocausts zu überleben.

Helmut Qualtinger fasst diese Niederung menschlichen Verhaltens in einer Schlüsselszene des „Herrn Karl“ präzise und in unnachahmlicher Kürze in einem einzigen Satz zusammen:

“Is eahm eh nix passiert” – „ein Satz, der nicht nur die Überlebenden als Zeugen für die Unschuld der Täter aufruft, sondern ihnen wegen ihres Überlebens auch noch das Recht auf die Erinnerung an das erlittene Unrecht abspricht.“

Author: freakingcat
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