Ziegen!

अपो देवीरुप हवये यत्र गावः पिबन्ति नः

Ich nenne die Wasser, Göttinnen, worin unser Vieh seinen Durst löscht.

Wie ein schmaler ruhig dahinfließender Bach zweigt die Edayanchavadi Road vom vielbefahrenen, reißenden Highway ab, asphaltierter Fließ, von unzählbaren Schlaglöchern übersät, die der gestrige Regensturm mit schlammigem, Schmutzwasser gefüllt hat.

Geschickt schlängelte sich Damien zwischen den Lachen hindurch, fuhr vorbei an brach liegenden Feldern aus rotem Sand und zerrissener Erde, kahl und öde wie der Grund eines verwaisten Ozeans, und wich in letzter Sekunde einem laut aufhupenden Autobus aus, der ihm in einer Kurve urplötzlich wie eine blecherne Sturzsee frontal entgegenschlug und ihn von Kopf bis Fuss mit wärmlich brauner Brühe übergoss.

Eine alte Frau, mit einem in ein Tuch geschlagenes Bündel Gras auf dem Kopf, balanciert barfuss und ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen an ihm vorbei. Kühe, träge wie gestrandete Wale, glotzen ihn wiederkäuend an, sie scheinen zu lachen und Damien lacht zurück, während er sich mit seinem T-shirt das Gesicht abtrocknet.

Weiter geht die Fahrt, vorbei an Gestrüpp, Dornenbüschen und mit DDT besprühten Cashewnussbäumen. Es ist schon beinahe Mittag, feucht und schwül, die Kraft der brutalen Tropensonne jagt die Temperatur auf über 36 Grad. Nur ein paar verstreute Inseln aus Tamarindenbäumen spenden genug Schatten und werden am späten Nachmittag und Abend zum Treffpunkt der Männer, die sich am Boden sitzend, mit selbstgebranntem Palmwein, Kallu, methanolschwangerem Arrak, billigstem Brandy oder Bier betrinken, Poker spielen, über ihre Frauen herziehen und zu guter Letzt die leeren Flaschen an Bäumen zerschmettern lassen, sodass Glasscherben das Land wie eine Algenpest überziehen.

Links und rechts der Straße formen Müllhaufen bizarre Korallenriffe aus dem Abfall menschlicher Zivilisation, aus PET-Flaschenbergen wuchsen Muschelbänke. Der Wind weht ein paar Plastiktüten umher, die wie Quallen im stillen Meer zu schwimmen scheinen. Der Regen hatte ein Bachbett mit schlammigem Wasser gefüllt auf dem stinkende Exkrement-Schlangen faul umhertreiben.

Mit einem Male hört Damien entferntes, lautes Hundegebell das von einer ungeheuren Meute stammen musste. Er wendete seinen Kopf nach links, scannte die Landschaft, um den Ursprung des Gebells zu finden, und fuhr beinahe in eine Herde aus hunderten aufgeregter Ziegen, die wie aus dem Nichts, sich wie eine Springflut aus gefährlich spitzen Geißenhörnern und vor ihm auftat. Er bremste, das Hinterrad seines Scooters rutschte auf dem Kieselteppich der den Asphalt zierte seitlich weg, rammte in das Vorderbein eines schwarzen, bösartig dreinschauenden Geißbockes, der umgehend seinen harten Ziegenschädel gegen Damien’s Knie rammte, was diesem vor Schmerz aufschreien und den verdammten Bock lauthals verfluchen ließ. Dies hatte wiederum zur Folge, dass der Ziegenhirte, ein bis auf einen Ledenschurz nackter, schwarzhäutiger Tamile, mit versoffenen, milchigen Augen, mit seinem geschnitzten Krummstock, Damien bedrohte und erst nachdem er sich versichert hatte, dass sein Geißbock keine bleibenden Verletzung davongetragen hatte, seine Beschimpfungen und astronomisch übertriebenen Schadensersatzforderungen einstellte und sich endlich von dannen machte.

Damien parkte seinen Scooter am Straßenrand und zitterte noch immer wegen der Heftigkeit des Tsunamis aus tamilischen Schimpfwörtern den er gerade über sich ergehen hatte lassen müssen, als er wie benommen die Böschung hinunter taumelte, dabei in eine saftige Kuhflade trat und sich auf einem gewaltigen Banyan Baum zubewegte, hinter dem sich ein alter Hindutempel vor dem überlebensgroße Pferdestatuen und ein böse dreinschauender Gott erhebt. Wie ein schützendes Zelt empfing ihn der Banyan Baum als er unter das Blätterdach schritt, seinen Kopf in den Nacken legte und mit offenem Mund die majestätische Baumkrone bestaunend, wie in Trance umherschritt. Mit einem Male war er sechs Jahre alt und spazierte Hand in Hand mit seiner Großmutter durch den Eichenwald hinter dem Haus, und Großmutter erzählte dem staunenden Knaben von kleinen elfenartigen, mystischen Wesen die im Wald versteckt lebten und die nur von Menschen mit reinen Herzen gesehen werden konnten, sie lehrte ihm dass Bäume Freunde sind und gemeinsam umarmten sie so manchen Baum und ließen sich fallen im Gefühl der Geborgenheit unter dem Schutz eines Holzwesens von hunderten von Jahren…und dann, als er den Banyan Baum in seine Arme schließen wollte, sah er es.
Ein zusammengerolltes, fliegenübersähtes, zitterndes Bündel aus hellbraunem Haar mit weißer Schnauze, ein alter Hund, der elendigst zugrunde ging. Damien hörte ein Winseln, welches ihn zusammenfahren ließ, einen Schmerzensschrei, der sich in sein Herz bohrte. Er musste etwas tun.
Eine Weile stand er vor dem sterbenden Hund und sie blickten sich einander an. Damien, hilflos, ohnmächtig und ratlos. Der Hund, bittend, flehend, hoffend.

Author: freakingcat
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