Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Die schwere Eisentür hat seine Vorderpfoten wund gescharrt und seine Krallen bluttriefend zerbersten lassen in einem unbezähmbaren, blindwütigen, kalten Trieb nach Freiheit. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Eingepfercht in Käfigen wie dem seinen, lässt das markerschütternde Schmerzgeheul siecher Hunde ihn ahnen, dass er nicht in Fieberträumen wähnte, und auch dass er längst noch nicht verendet war.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ließ ihn die Trägheit seiner alten Knochen und den Schmerz des von Maden zerfressenen Fleisches seines rechten Hinterbeines vergessen, wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Zuallererst vom göttlich, goldenem Atem neuen Lebens erfüllt, dann toll geworden und wie von unheiligen Geistern besessen, verbleiben ihm jetzt nur noch Fragmente einer Erinnerung: der Geschmack frisch gerissenen Welpenblutes, die Schreie und Schläge von Menschen in weißen Kitteln, die ihn niederspritzend in traumlosen Schlaf zusammenbrechen ließen. Und ständig brodelt; und tobt, tief im dunklesten Inneren seines Seins, eine in Jahrhunderten aufgestaute Lust am Töten, eine geheimnisvolle, böse Kraft, die nicht die seine war und die ihn sich selbst fremd werden ließ.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf, als stürmischer Wind durch die Stäbe fährt, ihm ins Maul hinein und den Atem nimmt, sein Herz steht still und dann geht ein Bild hinein, fremd und eisklar es ihn erzittern lässt. Der Vetala geht durch der Glieder angespannte Stille und hört im Herzen auf zu sein. Geboren im Körper eines Hundes drängt der Untote nun ins Dämmerlicht des Canisgeistes; der Hund würgt, versucht sich zu erbrechen, Augen aufgerissen voller Weiß, kämpft er mit sich und dem aus ihm herausbrechendem Bösen. Dunkle Stille herrscht im Zwinger, die ein Geräusch, ein immer lauter werdender Ton, aus dem Halse des Hundes emporsteigend, ein geheimnisvolles und unerschöpfliches, aus unendlicher Sprache und Wissen eines Universums jenseits der Sonne kommendes, gellendes Geheul, AAAUUUMMM!, wie die Essenz des reinen kosmischen Atems, ein AUM allen existierenden Lebens, in tausende Stücke schmerzhaften Schweigens zerspringen lässt.
Der Hund zuckt ein paar Mal, dann sinkt er in sich zusammen und als er so daliegt, spürt er in sich die Anwesenheit von etwas Fremden und erkennt wie dieselbe Wut, die einst ihn wild toben und töten ließ, jetzt unsichtbar und doch ganz nah ist und als Stimme tief in der Dunkelheit seiner Gedankenwelt lauert, sich nun endlich Gehör verschaffte.
„Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir“, sagt der Vetala.
Aufgeschreckt, und seltsam erregt, schüttelt sich der Hund, verdreht seinen Kopf, blickt suchend um sich nach der Stimme die er zu kennen vermeint. Er dreht sich um, aber nirgendwo ist ein Mensch ist zu sehen. Angsterfülltes Winseln entfleucht seinem Maul.
„Erwacht sind wir zu neuem Leben. In deiner Gestalt wirkt mein Geist, mit vereinter Kraft werden wir das Böse besiegen. Vertraue mir und folge meinem Wort!“
Panisches Bellen, in das die anderen Zwingerhunde einstimmen, der Hund dreht sich wie vom Teufel geritten im Kreis, er jault und springt die Gitterstäbe hoch, doch es gibt kein Entkommen.
„Sei ruhig mein Freund, ganz ruhig, dir wird nichts geschehen. Beruhige dich und vertraue meiner Stimme, die ständig mit dir sein und dich lenken wird.“
Erschöpft regt sich der Hund ab und dreht in seiner Zelle mit hängendem Kopf eine Runde nach der anderen.
„Guter Hund, guter Hund! Schon bald wirst du Freiheit erlangen und ich werde dich deiner Bestimmung zuführen. Vertraue mir und alles wird gut, ich verlasse dich nicht.“
Endlich, als die Dämmerung eines neuen Tages sein Gefängnis in wohlig, warmes Licht tauchte, schloss der Hund seine Augen und fiel in kurzen, traumlosen Schlaf.