Grieskirchen im Zeichen des Hakenkreuzes

Rechte Wogen radikaler Veränderung schwappen 1933 und 1934 vom Deutschen Reich auch nach Oberösterreich über, wo innerhalb kurzer Zeit NSDAP Ortsgruppen wie Schwammerl aus dem modrigen Unterholz eines krisengebeutelten und in Selbstzweifel versunkenen Landes sprießen, welches sich verzweifelt dagegen wehrt in das Tausendjährige Deutsche Reich eines machtgeilen Neo-Reichkanzlers Adolf Hitler eingesogen zu werden.

So mancher Grieskirchner blickt mit Sehnsucht, Neid oder Hass über die bayerische Grenze, wo sich unter gebrüllten Reden eines in Oberösterreich geborenen Diktators, ein tausendjähriges Deutsches Reich aus der „Schmach von Versailles“ erhebt. Im Februar 1933 erreicht die Weltwirtschaftskrise in Österreich ihren Höhepunkt, 600.000 Leute sind ohne Arbeit. Die „deutsche Sehnsucht“ ist erwacht und mit ihr die Hoffnung durch einen Anschluss an das „Dritte Reich“ alle Sorgen und Nöte eines Staates, den viele als „ideologische Missgeburt“ empfinden, durch eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ zu lösen. Schon früh begeistern sich auch in der Grieskirchner Heimat junge Leute für den Nationalsozialismus. 1929 veranstaltet die Hitler Jugend Grieskirchen einen dreitägigen Aufmarsch mit öffentlichen Veranstaltungen. Am 13. September stimmt man abends am deutschnationalen Stammtisch im Gasthaus Ruhland biergeschwängert deutsche Lieder an, tags darauf wird mit Feuerwerk und Tanz auf der Turnwiese des deutsch-völkischen Turnvereines Grieskirchen gefeiert. Höhepunkt am nächsten Tag ist der feierliche Umzug durch die Stadt mit einer öffentlichen Versammlung am Hauptplatz, danach Volksfest mit verschiedenen Belustigungen wie Tombola oder Sacklaufen. Das gefällt natürlich vielen aus der lokalen Bevölkerung, die ihre Sprösslinge säuberlich in Uniform gekleidet, mit Swastika Armbinde und Wimpeln der HJ, in ordentlichen Reihen durch die Stadt marschierend, zujubeln und sich so stolz und so deutsch wie niemals zuvor fühlen.

Die NSDAP ruft, wir folgen!

Als Hitler am 31. Jänner 1933 zum Reichskanzler ernannt wird, findet in Linz ein Fackelzug und eine Festversammlung der Nationalsozialisten statt. Tags darauf reiht sich Wels in die lange Liste von Gratulanten ein. In jedem kleinen Kaff wird eine NSDAP Ortsgruppe gegründet und lockt wie Rattenfänger junge Menschen an, die in Hitler’s Machtergreifung die Wiederkehr des wahrhaftigen Heiland sehen, um ihnen gehörig den Kopf zu verdrehen. Auch im Bezirk Grieskirchen veranstaltet die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei seit 1930 regelmäßig Versammlungen in Gasthäusern, wo Freibier so manchen orientierungslosen jungen Mann auf den „rechten“ Weg führt.

Am 10. Mai 1930 spricht auf einer Versammlung im Gasthaus Reisinger in Waizenkirchen und am kommenden Abend im Gasthaus Ruhland in Grieskirchen der Journalist und Verleger des Alpenländischen Volksverlages, Pg. Ernst Seidl, stolzes NSDAP Mitglied mit Nr. 116057, der keine Mühen gescheut hat, aus Linz in die Provinz anzureisen, um das Wort des Führers zu verbreiten und nebenbei auf Mitgliederfang zu gehen. Am Anschlusstag 1938 wird er für seinen begeisterten Einsatz für die „deutsche Sache“ mit der Geschäftsführung des Gauverlags Oberdonau belohnt, bei dem August Eigruber Gesellschafter ist, als man die Diözese zwang, den Katholischen Pressverein zu verkaufen. Das Gasthaus Ruhland ist am Sonntag, den 11. Mai mit ca. 50 Personen beiderlei Geschlechts gut besucht, die Ortsgruppe der NSDAP hatte gerufen und gekommen sind sie alle, um Redner Seidl über das Thema „Deutschland = Rettung“ sprechen zu hören.

Die schiere Menge an NSDAP Veranstaltungen im Jahr 1933 war enorm: Sturmappelle und Fackelzüge in Gaspoltshofen, Bachmanning, Gallspach, Peuerbach, Rottenbach, Haag a. H., Versammlungen von 200 Besuchern im Turnsaal des Niklaskellers in Waizenkirchen, einer Hitlergeburtstagsfeier im Kinosaal Hackl in Neumarkt mit Fahneneinmarsch, Festspiel und Liedervorträgen, ein Hitlerabend der Ortsgruppe Kallham mit Tanz und der Abhaltung eines „Glückshafens“ sowie Ansprachen von Gauleiter Andreas Boleck in Grieskirchen und feucht fröhlichen Zusammenkünften von SA Männern aus vielen Orten der Umgebung zu Führertagungen und Exerzierübungen. Rudolf Pührer, arbeitsloser Schlossergehilfe und NSDAP Ortsgruppenführer aus Grieskirchen reicht im Februar 1933 Anfragen an die BH Grieskirchen zur Bewilligung für die Abhaltung von Werbeumzügen mit anschliessenden Parteifeiern, politischen Gasthausversammlungen am NS-Stammtisch im Kronlachner Saale oder in Zweimüllers Gasthaus, ein. Vielleicht im Stillen beobachtet und bewundert der damals dreizehnjährigen Robert Z., der ein paar Jahre später der SS „Meine Ehre heisst Treue“ schwören wird, das gesellige Treiben der braunen jungen Männer.

Aufgehetzt von Propaganda und dem immer radikaleren Ton den Hitler anschlägt, der keinen Hehl länger daraus macht, dass er Österreich „heim ins Reich“ holen will, radikalisieren sich auch die Grieskirchner Nazis und geben sich nicht länger damit zufrieden, eine Hakenkreuznadel auf ihrem Sonntagsanzug zu tragen, sich untereinander mit erhobener Hand zu grüßen oder munter das Horst-Wessel-Lied zu pfeifen. Fanatische Grieskirchner Nazis holen ihre frischgebackenen Brötchen in der Bäckerei des SS-Mannes Alfons W. oder kaufen in der Eisenhandlung W. ein, dessen Besitzer sowie die meisten seiner Angestellten stolze und bekennende Nazis sind.

Der neue austrofaschistische Machthaber, Millimetternich Dollfuß (Er war 1.51 m klein) fühlt sich als grosser und starker Mann, als er am 5. März 1933 alle öffentlichen Versammlungen verbietet. Das Amt der oberösterreichischen Landesregierung informiert seine Bezirkshauptmannschaften: „In den letzten Tagen hat sich gezeigt, daß es bei politischen Versammlungen sehr leicht zu schweren Zusammenstössen und Ausschreitungen kommen kann, weil dermalen in breiten Kreisen der Bevölkerung angesichts der politischen Vorgänge in Deutschland grosse Aufregung herrscht. […] Der Höhepunkt der Spannung ist wohl am 5. März l.J. zu erwarten. Es ist an diesem Tage notwendig, die Bestimmungen des Vereins- und Versammlungsgesetzes mit besonderer Vorsicht zu handhaben […] daß durch die letzten Ereignisse in Deutschland und durch die am 5. März l.J. stattfindende Wahl in den Deutschen Reichstag entstandene Erregung und die damit verbundene Gefahr schwerer Ausschreitungen zwischen Anhängern der gegnerischen politischen Parteien, die öffentliche Ruhe und Ordnung einerseits gestört werden würde, andererseits zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung Sicherheitsmaßnahmen vorzukehren wären, die dem Staate Auslagen in einer Höhe verursachen müssten, die bei der gegenwärtigen finanziellen Lage nicht zu rechtfertigen wären.“

Die 400 Männer und Frauen von Grieskirchen

Mit einem abendlichen Fackelzug der SA und Zivil „ausgehend vom Gasthaus Zweimüller durch sämtliche Hauptstrassen der Stadt“ und „anschließendem Höhenfeuer und Pöllerschüssen am Berge bei der Wiererkapelle (Zweimüllergrund)“ feiern begeisterte Grieskirchner Nazis einen Tag nach der Reichstagswahl in Deutschland am 5. März 1933 den Erdrutsch Sieg der NSDAP mit 43.9% der Stimmen, nach einem gehässigen Wahlkampf, der von gewalttätigen Übergriffen auf politische Gegner und staatlicher Verfolgung mittels eilig, nach dem Reichstagsbrand vom 27. auf den 28. Februar 1933 erlassener Verordnungen, überschattet war. Die unerfüllte Sehnsucht nach Deutschland ertränkt der gute Nazi in einem ausgiebigem Besäufnis auf der anschließenden öffentlichen Versammlung. Das Gendarmeriekommando Grieskirchen erstattet dem Bundeskanzleramt darüber genauestens Bericht: „160 Personen, darunter 46 SA- und 5 SS-Männer nahmen an dem Fackelzug durch die Hauptstraßen des Stadtgebietes teil. […] Unter den Teilnehmern befanden sich der deutschvölkische Turnverein, die Liedertafel und der Bund deutscher Frauen Grieskirchen. Nach Abschluß des Fackelzuges fand anschließend bei dem Kriegerdenkmal der deutschen Turner eine Heldenehrung statt, wobei der Parteigenosse Josef Eybl, Kaufmann aus Wels, die Gedenkrede hielt“ und ausführte, dass „[…] auch in Österreich in kurzer Zeit der Nationalsozialismus die Oberhand gewinnen und das erreichen [wird], was im Deutschen Reich bereits im Zuge ist. Während dieser Rede wurden viele Böllerschüsse abgegeben und gleichzeitig wurde ein Höhenfeuer in der Nähe von Grieskirchen abgebrannt.“ Daraufhin finden sich „400 Personen beiderlei Geschlechtes“ im Gashaus des Gastwirtes Karl Kronlachner zu einer allgemein zugänglichen Versammlung ein, bei der Eybl die Stimmung mit einer Rede über die Unfähigkeit der österreichischen Regierung aufpeitscht. Unter dem Vorsitz des arbeitslosen Schlossergehilfens und Führers der Ortsgruppe Grieskirchen, Rudolf Pührer und dem Werbeleiter der NSDAP, dem Rechtsanwalt Dr. Hermann R., wird eine Resolution angenommen, in welcher, mit einer unglaublicher Selbstsicherheit— fast könnte man dazu Arroganz sagen— im Namen der „400 Männer und Frauen aus Grieskirchen“ der sofortige Rücktritt der Regierung Dollfuß und Neuwahlen gefordert wird.

In der Entschliessung, die direkt an den Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß geschickt wird, der erst tags zuvor das österreichische Parlament für „selbstausgeschaltet“ erklärte, heißt es: „Die heute anlässlich einer Kundgebung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei in Grieskirchen […] versammelten 400 Volksgenossen aus allen Ständen und Berufen, haben mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, dass der Führer der grössten deutschen Bewegung Adolf Hitler, zum Kanzler des deutschen Reiches und dadurch zum Führer der deutschen Nation ernannt worden ist. […] Nach 14 Jahren der Verirrung, in deren Gefolge Not und Elend, Qual und Sorge, Bruderkampf und Versklavung einhergingen, hat sich das deutsche Volk freigemacht, von seinen falschen Führern, hat sich auf den Boden der Nation zusammen gefunden zur grossen Not und Schicksalsgemeinschaft und hat in einem gewaltigen Aufbruch von nie zuvor erlebter Grösse den Kampf um seine Zukunft aufgenommen. Zu dieser geschichtlichen Stunde, in der wir uns innerlich enger den je mit unseren Brüdern im Reich verbunden fühlen und brennender den je die Schmach jener Verträge empfinden, die uns äusserlich von ihnen trennen, grüssen wir aus heissem Herzen, das neue Reich und seinen Führer Adolf Hitler, den Sohn unserer Heimat. […] Das Österreichische Volk wurde in Not und Schande gestürzt, seiner Freiheit beraubt, sein Vermögen verschleudert und überdies wurde seine Ehre preisgegeben. […] Österreich ist nun einmal trotz aller gegenteiligen Behauptungen als selbständiger Staat nicht lebensfähig. Der einzige Ausweg kann daher nur sein Zusammenschluss aller Deutschen zu einem geschlossenen Reich unter einheitlicher Führung.“ Starke Worte siegestrunkener Grieskirchner Männer und Frauen will man meinen.

Nestbeschmutzer

Schon lange bevor sich Thomas Bernhard mit „Heldenplatz“ einen Spitzenplatz unter den Staatsbeschimpfern Österreichs sicherte, ging der Regierung, angesichts der immer offener und brutaler werdenden Kritik an Österreich und seinen ehrwürdigen Repräsentanten, der Hut hoch. In Express-Erlässen vom 8. März und 12. April 1933 erinnert das Bundeskanzleramt, dass „öffentliche Beleidigungen des Bundespräsidenten, der Bundesregierung, einer Landesregierung oder von Mitgliedern dieser Regierungen, wenn hierdurch die zur Wiederaufrichtung des wirtschaftlichen Lebens unentbehrliche öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet wird, nach der gedachten Vorschrift – unbeschadet der allfälligen strafgerichtlichen Verfolgung – von der politischen Bezirksbehörde (Bundespolizeibehörde) mit Geldstrafe bis zu 2000 S oder mit Arrest bis zu drei Monaten zu bestrafen sind.“

Die austrofaschistische Regierung Dollfuß bedient sich fleissig diktatorischer Instrumente, die sie sich bequem durch weitere Express Erlässe schafft. Nachdem die österreichische Regierung ein allgemeines Uniformverbot für 130 Orte und Bezirke in ganz Österreich einführt (Im Bezirk Grieskirchen trifft dies auf Bad Schallerbach und Gallspach zu) verbietet das Bundeskanzleramt auf Grund des §2 der Verordnung vom 10. Juni 1933 die Verbreitung etlicher nationalsozialistischer Zeitungen, Zeitschriften und Flugblätter für die Dauer von drei Monaten. Darunter finden sich unter anderen der „Völkischer Beobachter“, „die Deutschösterreichische Tages-Zeitung (DÖTZ) und die „Münchner Neueste Nachrichten“. Eiligst strömen im ganzen Bezirk Gendarmeriekommandos aus und durchsuchen Gasthäuser, Zeitungskioske in Peuerbach, Bad Schallerbach, Waizenkirchen, Neumarkt, Haag, Gallspach und Grieskirchen um verbotenes „Propagandamaterial“ zu beschlagnahmen.

In einem Erlaß vom 18. März 1933 wird ein Plakatierungsverbot für die Gemeindegebiete Gaspoltshofen, Geboltskirchen, Weibern und Haag a. H. für Bekanntmachungen und Aufrufe politischer Natur, welche die Ruhe und Ordnung bzw. die Sicherheit von Menschen und Eigentum gefährden, verordnet. Laut „Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Haag a. H. bzw. auf Grund von hieramts eingeholten Informationen sind die politischen Gegensätze im dortigen Gemeindegebiete in den letzten Tagen derartig heftig geworden, daß kleine Auslöseursachen zu einer Gefährdung der Ruhe und Ordnung bzw. der körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums führen können. Diese politischen Gegensätze wurden insbesondere durch Plakate wesentlich verschärft.“ Auch die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen findet daher „im Sinne des §4 Absatz 2 des Gesetzes vom 7.12.1929 […] bis auf weiteres jede Plakatierung von Bekanntmachungen, Aufrufen usw. politischer Natur ausnahmslos zu verbieten bzw. anzuordnen, daß derartige affichierten Plakate sofort beseitigt werden.“ Der Bürgermeister von Weibern sorgt sich um die kleindörfliche Ruhe seiner Gemeinde und meldet dass der „der Anschlag von sozialdemokratischen Plakaten wie am Ostersonntag, welche im wesentlichen die Diktatur Dr. Dollfuß, die Gefahr der Abschaffung der Geschworenengerichte, die Kürzung von Beamtengehältern, Arbeiterlöhnen und Arbeitslosenunterstützungen beinhalteten, eine Gefahr [bilden], daß Exzesse und Ruhestörungen vorkommen könnten, daher es erwünscht wäre, der Lokalsektion der sozialdemokratischen Partei in Weibern, das Anschlagen von Plakaten, welche versteckt oder offen gegen die Maßnahmen der Regierung hetzen, zu verbieten. […] Regierungsfeindliche Parteiplakate werden übrigens von der heimattreuen Bevölkerung niemals geduldet werden.“ vergisst der Bürgermeister nicht, noch ganz devot und dienstbeflissen anzufügen.

Nicht nur die NSDAP marschiert fleissig durch die Strassen und hält Versammlungen ab, auch die oberösterreichische Heimatwehr hat, wie die BH Grieskirchen alle Gendarmeriepostenkommandanten des Bezirks, „zur strengen Darnachachtung zur Kenntnis“ setzt, „die Absicht, in nächster Zeit Propagandafahrten zu veranstalten, bei welchen ungefähr je 20 Heimatwehrleute in Uniform auf einem Lastauto die einzelnen Orte durchfahren und bei dieser Gelegenheit an die Bewohner Flugblätter politischen Inhaltes abwerfen wollen.“ „Um Zweifeln zu begegnen, wird darauf aufmerksam gemacht, daß derartige Fahrten als politische Kundgebungen (Aufmärsche) zu werten und daher nicht zu dulden sind.“

Ganz und gar nicht zum Lachen

Doch nicht nur Propagandaspritzfahrten geben Anlass zur Erregung, auch ein vom „sozialdemokratische[n] Verein in Linz […] bereits seit längerer Zeit in ganz Oberösterreich [veranstaltetes] sogenanntes politisches Kabaretts, wobei von den Darstellern die gegnerischen politischen Parteien in Einaktern oder kurzen Sprechszenen unter Stellung von lebenden Bildern karikiert werden“ drückt auf das Ehrgefühl heimischer Gemüter. „Hiebei wird insbesonders darauf aufmerksam gemacht, daß nicht allein öffentliche Beleidigungen und Beschimpfungen der österreichischen Regierung und ihrer Mitglieder, sondern insbesondere auch öffentliche Beleidigungen einer auswärtigen Regierung oder ihrer Mitglieder unzulässig sind. Sollte solche trotzdem vorkommen, so ist unter Einhaltung der diesbezüglichen Bestimmungen das Strafverfahren gegen den Geschäftsführer und die Mitwirkenden einzuleiten und h. a unverzüglich die Entziehung der Lizenz zu beantragen.“ Thomas Bernard grüßt aus seinem Grab!

Die Sache mit dem “Vernadern”

Ein Wesenszug des Österreichers, den er sich mit Reichsdeutschen sämtlicher politischer Lager teilt, ist das „Vernadern“, in Piefke-Deutsch auch „Verpfeifen“ genannt. In geübt kriecherischem Tonfall richtet der Katholische Volksverein für Oberösterreich an die „Verehrliche Bezirkshauptmannschaft!“ eine Beschwerde, dass wie „aus Zeitungsberichten und Berichten unserer Ortsgruppen hervor[geht], das seinerzeit bestehende Versammlungsverbot insbesondere von der nationalsozialistischen Partei auf das gröblichste umgangen wird“ und lobt sich im nächsten Satz gleich selbst: „Der Kath. Volksverein verweist ausdrücklich darauf, daß er und seine Bundesorganisationen nur solche Versammlungen abhalten, die dem Versammlungsverbote nicht widersprechen und keine Umgehung es Versammlungsverbotes darstellen.“ Natürlich weisen Nationalsozialisten alle Anschuldigungen zurück, alle ihre Veranstaltungen laufen in bester teutscher Ordnung und vollkommen gesetzeskonform ab. Auf die Beschwerde von Heimatschutz-Kreisführer und Gutsbesitzer Botho C., „dass vormittags vor dem Gasthause der Maria Schraml in Waizenkirchen ein Kraftwagen hielt, welchem einige Personen entstiegen und in das genannte Gasthaus gingen“ antwortet der Ortsgruppenleiter der NSDAP im selbstsicheren Brustton der Überzeugung kämpferisch: „Es waren am 17.5.1933 einige Gäste im Gastzimmer, welche mit einem Auto ankamen, aber es war keiner dabei, welcher Parteiuniform getragen hätte. Sagen Sie mir den Zeugen, der so etwas behaupten kann und ich werde ihn klagen.“

Die Heiligkeit einer Kurortidylle und ein gern gesehener Gast

Das Gemeindeamt von Gallspach fürchtet, dass politischer Diskurs die perfekte Idylle der im Ort urlaubenden Kurgäste stören würde. Deswegen wendet sich der Bürgermeister am 21. April in einem Schreiben an die BH Grieskirchen „[…] im Hinblicke darauf, daß Gallspach ein von vielen Ausländern, die zum Zwecke der Erholung und Gesundung hierher kommen, besuchter Kurort ist und im Interesse des gesamten Fremdenverkehrs, wäre es es sehr angezeigt und wünschenswert, wenn die sogenannten „Schaukästen“ der politischen Organisationen, gleich welcher Parteirichtung, im Kurorte Gallspach verboten werden würden. Speziell die in diesen Schaukästen angeschlagenen Zeitungsausschnitte, politische Bilder, Kundmachungen etc. sind geeignet, dem Fremdenverkehr dadurch zu schaden, daß dem Kurgaste, der sich hier ein ruhiges und gesundheitsbringendes Wohnen erhofft und wünscht, der Aufenthalt verleidet wird und er auch andere Personen vielleicht dazu bestimmen wird, diesen Ort zu meiden. Es sind bereits Fälle vorgekommen, daß sich Kurgäste über die Art und Weise der in diesen Schaukästen betriebenen Politik aufregten und beschwerten und der Gemeinde klar machten, daß diese Schaukästen keine günstige Propaganda für den Kurort sind. Gegenwärtig bestehen zwei Schaukästen der nat. soz. Partei (der eine gegenüber dem Zeileis Institute und der andere beim Gasthof Plohberger) und einer der Heimwehr beim Gasthofe Roither, der jedoch geschlossen und seit längerer Zeit nicht mehr in Benützung steht.“ Dass nur ein paar Jahre später Führerstellvertreter Rudolf Hess ein mehrmaliger und gern gesehener Gast im Kurhotel Kurgast sein wird, wo Valentin Zeileis mit einer fluoreszierenden Röhre und einem funkensprühenden Hochfrequenzapparat Wunder wirkt, kann der Bürgermeister damals ja noch nicht ahnen.

Jetzt reichts! Die NSDAP wird verboten

Am 19. Juni 1933 verbietet die Regierung die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei nachdem ein Handgranatenüberfall zweier Nationalsozialisten auf 56 Hilfspolizisten Christlich-Deutscher Turner, die von einer Schießübung in Egelsee nach Krems an der Donau zurückkehren, einen Hilfspolizisten tötet und 13 weitere schwer verletzt. „Durch die Verordnung der Bundesregierung ist der NSDAP (Hitlerbewegung) und dem Steirischen Heimatschutz jede Betätigung in Österreich untersagt und auch die Bildung irgendwelcher Parteiorganisationen, sowie das Tragen jedweder Parteiabzeichen verboten.“ Dieses Verbot gilt auch für die eingeführten Grussformen in Worten und Gesten. Selbst das Singen, Trällern oder Pfeifen ausschliesslicher Parteilieder, wie dem Horst-Wessel-Lied ist nun ein strafbares Delikt.

Ab dem Frühjahr 1933 wenden radikalisierte NSDAP Anhänger immer häufiger terroristische Methoden an und versetzen die Bevölkerung mit konspirativ vorbereiteter Gewalt gegen öffentliche Kommunikations- und Versorgungseinrichtungen und Anschlägen auf vermeintliche Gegner, die auch den Tod von Unbeteiligten in Kauf nehmen, in Angst und Schrecken. Die neue deutsche Regierung unter Reichskanzler Hitler arbeitet mehr oder weniger offen auf einen Sturz der austrofaschistischen Regierung Dollfuß hin mit Unterstützung der österreichischen NSDAP, welche gewaltsame Aktionen ausführt. Es ist sicherlich kein Zufall, dass eine neue Terror-Welle mit der am 27. Mai 1933 von der deutschen Reichsregierung gegen Österreich verhängten „Tausendmarksperre“ zusammenfällt. Deutsche Staatsbürger müssen fortan beim Grenzübertritt nach Österreich eine Gebühr von 1.000 Reichsmark zahlen— ein direkter Angriff auf den österreichischen Tourismus. Dollfuß kontert am 1. Juni mit einem Visumzwang für Deutschland.

So eine Schmiererei – Nazi Parolen an den Wänden

Am 5. Juli demonstrieren 200 Nationalsozialisten in Ried, wo am 21. Juli ein deutsches Flugzeug nationalsozialistische Flugblätter auf die Stadt abwirft. Not macht selbst den dümmsten Nazi erfinderisch: Da nun gedrucktes Propagandamaterial verboten ist, gehen die Nationalsozialisten zu Schmieraktionen über mit der sie ganz Österreich überziehen. An vielen Häuserwänden, Gartenzäunen, Heustadeln und öffentlichen Gebäuden im ganzen Bezirk Grieskirchen prangen Parolen wie „Trotz Verbot nicht Tod! [sic]“, „Österreich erwache!“, „Heil Hitler!“, „Wir wollen heim ins Reich!“, „Heil dem neuen Deutschland!“, „Ihr zwingt uns nicht!“, „Wir kommen!“ allsamt dekoriert mit grossflächig gemalten Hakenkreuzen. Es hagelt zahlreiche Anzeigen gegen unbekannt. Gendarmerie und Polizei üben sich im Klettern um Flaggen und Wimpel, die nächtens an Bäumen und Strommasten hochgingen, zu entfernen.

Obwohl die regionalen Aktionen spontan wirken sind jedoch meist zentral vorbereitet und minutiös geplant. In einer parteiamtlichen Anweisung der NSDAP vom Mai1933 heißt es: „Inschriften wie „Heil Hitler“, „Ein Volk – Ein Reich“, „Wir wollen zu Hitler“ sind möglichst groß auf alle möglichen Flächen (Zäune, Mauern, Scheunen, Tore, mit Kalk auch auf von der Bahn aus sichtbaren Dächern) zu malen, und zwar so, dass sie vom Vorbeifahrenden leicht lesbar sind. Auch auf Rasenflächen, Futtermauern und dergleichen kann, sofern sie gut sichtbar sind, mit Kalk geschrieben werden. Achtung: Überall saubere Schrift, ohne Rechtschreibfehler!“

In der Nacht zum Sonntag, den 9 Juli findet im Stadtgebiet von Grieskirchen und in der Ortschaft Ziegelleithen eine grosse Schmieraktion mit zahlreichen Parolen und Hakenkreuzen, gemalt mit schwer zu entfernendem Eisenlack, statt. Kurz darauf „in der Nacht zum 1. August 1933 in der Zeit von 0 bis 1 Uhr wurden im Stadtgebiete Grieskirchen an mehreren Stellen Häuser und Strassensteine mit Hakenkreuze und Sprüchen bemalt, wodurch einerseits ein Sachschaden von 10 Schilling entstand, anderseits aber ein schwerer beleidigender Ausfall gegen den Herrn Bundeskanzler Dr. Dollfuss verübt wurde.“ Neben zahlreichen Hakenkreuzen und Nazi Parolen findet die Gendarmerie auf den Gehsteig vor dem Brauereigebäude neben Beleidigungen wie „Nieder mit dem H.W. Gaunern“, „Dollfuss verrecke“, auch antisemitische Hassparolen wie „Pfui Juda und Rom“ geschmiert.

Nach dem Verbot der NSDAP sind es vor allem deutsch-völkische Turnvereine, welche die NSDAP infiltriert und benutzt, um sich heimlich zu treffen, Informationen und Flugblätter auszutauschen und den deutschen Volkskörper zu stählen. Dieser Umstand wird von den Sicherheitsbehörden bald erkannt. Das Bundeskanzleramt meldet, dass „Verschiedene Anzeichen sprechen dafür, dass der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterparteibewegung nahestehende Turnvereine im Widerspruch mit dem strikten Verbot der Verordnung der Bundesregierung vom 19. Juni 1933, die Tätigkeit der NSDAP bzw. ihrer Wehrformationen fortsetzen, beziehungsweise ihrer Wehrformationen fortsetzen, beziehungsweise hierzu den Versuch unternehmen. […] Die militärische Schulung und Weiterbildung von früheren SA und SS-Angehörigen soll auf diese Weise weiter zur Durchführung gelangen.“

Wenn die Deutsche Sehnsucht ruft

Ein neues Phänomen zieht im Sommer 1933 über das Alpenland. Aus allen Bezirken Österreichs fliehen anfangs nur ein paar junge Nationalsozialisten, dann immer mehr, „darunter Bauernsöhne, Knechte, Arbeiter und Professionisten“, illegal über die Grenze ins Deutsche Reich. Da jegliche Reise ins Deutsche Reich einer Genehmigung benötigt wird diese Flucht wurde als „Hochverrat“ verfolgt und hat die „Ausbürgerung“, die Aberkennung des Heimatrechts, zur Folge.

Oftmals schließen sich die jungen Männer, der seit dem 1. September 1933 aufgestellten „Österreichischen Legion“ an, welche bis 1934 zu einer Stärke von 12.000 Mann anwächst. Kampfziel der Legion ist es die Regierungsspitze Österreichs mit gewaltsamen Mitteln zu zerstören, um dadurch den Anschluss an das Deutsche Reich zu erwirken.

Lange schon kann man bei den nationalistischen Aktionsformen nicht länger von „Lausbubenstreichen oder „Räuber-und-Gendarm“ Spielen sprechen, die Grenze zu brutalen Angriffen auf politische Gegner und unschuldige Zivilpersonen ist schon längst überschritten. Eine Spirale der Gewalt, die 1934 in der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers in der offenen Gewalt des Juliputsches münden wird, dreht sich unaufhörlich weiter.

Eine Behörde greift hart durch

In den Akten der BH Grieskirchen im Landesarchiv Oberösterreich in Linz finden sich detaillierte Namenslisten meist junger Grieskirchner, die sich nach Deutschland abgesetzt hatten. Am 12. August 1933 informiert der Sicherheitsdirektor für Oberösterreich die „Herren Amtsvorstände aller oö. Bezirkshauptmannschaften und der Bundespolizeibehörden in Linz Steyr und Wels.“ „Es kommt immer häufiger vor, dass nationalsozialistische Parteigänger ins Ausland flüchten, vor allem nach Bayern, teils um in Deutschland eine nationalsozialistische Parteibeschäftigung zu erhalten, insbesondere als Aufseher in Konzentrationslagern, aber auch zu dem Zwecke, um im Deutschen Reich einen Kurs behufs Spezialausbildung mitzumachen. Aus Briefen solcher geflüchteter Leute ist zu entnehmen, dass die Absicht besteht, im Herbst einen Einmarsch nationalsozialistischer Formationen nach Österreich durchzuführen.“ „Ferner ergeht der Auftrag über alle erwiesenermassen nach Deutschland (Bayern) geflüchteten Angehörigen der NSDAP Österreichs ehemöglichst alphabetisch geordnete Verzeichnisse anher vorzulegen, welche die Rubriken: Vor- und Zuname, Geburtsdaten, Zuständigkeit, Beruf, geflüchtet seit wann, wo in Deutschland im Aufenthalte, frühere Betätigung in der NSDAP Anmerkung, zu enthalten habe. […] Auf die Wichtigkeit dieser Angelegenheit wird mit allem Nachdrucke aufmerksam gemacht und erwartet, dass die diesbezüglichen Anordnungen auf das Gewissenhafteste durchgeführt werden.“

Grund für den plötzlichen Massenexodus ist die gezielte Verfolgung und Bestrafung der NSDAP Mitglieder wegen illegaler Betätigung. Die Palette reicht von Geldstrafen in der Höhe von ein paar Schillingen bis hin zu tage- manchmal wochenlangen Haftstrafen. Der Ortsführer der SA in Grieskirchen, Rudolf Pührer „ist am 3. August 1933 von hier nach München abgereist ohne aber im Besitze der erforderlichen Bewilligung (B.G.Bl.Nr. 208/1933) zu sein […] und hätte am 3. August 1933 eine über ihn von der BH Grieskirchen verhängte 6 wöchige Arreststrafe antreten sollen.“

In den Akten findet sich die Zahl von 144 Ausgereisten bzw. Geflüchteten der Jahre 1933 und 1934, davon 104, die ausgebürgert wurden. Hans Schaffranek zählt 12.000 Legionären österreichweit, davon 1.734 junge Oberösterreicher und 105 aus dem Bezirk Grieskirchen. Damit liegt Grieskirchen an 42. Stelle der damals 112 politischen Bezirke Österreichs und nur leicht über dem Durchschnitt. Zwischen dem Tag der Ausreise und der Aufnahme in die Legion vergehen durchschnittlich 8 Tage. Die meisten Beitritte gibt es im August und September 1933, danach flaut es ein wenig ab, um erst wieder im April und Mai 1934 anzusteigen. Auch nach dem missglückten Juliputsch kommt es zu verstärkten Fluchten. Über 60% der Angehörigen der Österreichischen Legion gehören der Jahrgänge 1909 bis 1920 an und sind bei ihrer Flucht aus Österreich jünger als 25 Jahre. Der Anteil der unter 30 Jährigen beträgt 81.65%.

Die SA-Männer der „Österreichischen Legion“ schmuggeln massiv Sprengstoff nach Österreich, liefern sich Feuergefechte mit Grenzbeamten, Gendarmen und der Polizei, ermorden vermeintliche politische Gegner und versetzen das Land in Schrecken.

Author: freakingcat
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