„Kulturverein Rossmarkt 1“
Geschichte einer öffentlichen Erregung
GRIESKIRCHEN. Als Anfang der 80er Jahre, eine Handvoll junger Leute, den „Kulturverein Rossmarkt 1“ gründet und damit das alte Kaiserwirtshaus am Rossmarkt aus seinem Dämmerschlaf reißt, ist dies der Beginn einer komplizierten 25-jährigen Beziehung. Erinnerungen an eine Stätte öffentlicher Erregung.
Der Wildwuchs muss beseitigt werden!
Man fing mit den mächtigen, hundertjährigen Kastanienbäumen an, die, im Sommer, den kieselsteinigen Gastgarten des ehemaligen Kaiserwirtshauses, in kühlen Schatten tauchten. Im Herbst verleiteten die reifen Kastanien, Scharen von Schulkindern dazu, Stöckchen in ihre Kronen zu werfen, so dass dunkelbraune Nüsse auf sie herabregneten, aus denen sie mit Streichhölzern, tolle Kastanienmännchen bastelten. Im Winter bewahrten ihre mächtigen Äste, das altersschwache Dach des Gasthauses, vor der gefährlich schweren Last nächtlicher Schneefälle, welche damals noch häufiger vorkamen. Als das Frühjahr kam, kamen eines frühen Morgens im April — unangemeldet, still, heimlich und leise —, die Männer der Stadtgemeinde Grieskirchen mit ihren Kettensägen. Die Bäume mussten fallen.
Das Kreischen der Motorsägen, als ein verzweifelter Versuch, die eintönige Stille, geheuchelte Demut und falsche Zufriedenheit, hinter der bröckelnden Fassade einer, seit Jahrzehnten im Niedergang begriffenen Stadt, wiederherzustellen.
Der „Kulturverein Rossmarkt 1“
Nachdem Anfang der 80er Jahre, eine Handvoll jugendlicher Querdenker, mitten im Zentrum einer, von konservativem Einheitsdenken, geprägten Bezirksstadt, den „Kulturverein Rossmarkt 1“ gründet, entlädt sich ihr Widerstand gegen die Gleichförmigkeit eines genormten Alltagslebens, in lauten, frühmorgendlichen sonntäglichen Jazz-Frühschoppen, welche so manchem Anrainer, ihr Frühstücksei aus ihren elektrischen Eierschalensollbruchstellenverursachern springen lässt.
Seit Jahrhunderten lebt man friedlich in dieser Stadt zusammen. Seit jeher gilt: „Wer in Grieskirchen aufwächst, passt sich an – oder hat zu gehen“.
Die Mitglieder des Kulturvereins haben weder vor, das eine, noch das andere, zu tun. Die Resilienz, welche „die Rossmarktler“ an den Tag legen, ihre resolute Weigerung, sich, in keinster Weise, der traditionsknüppelnden, spießbürgerlichen Wertewelt einer stockkonservativen Generation von Vätern und Müttern zu unterwerfen, ist bemerkenswert und bestätigt die absolute Notwendigkeit der Existenz eines Ortes gelebter Dissidenz in Grieskirchen.
Mit unregelmäßiger Regelmäßigkeit organisiert „der Rossmarkt 1“, Konzerte, Lesungen und Kabarett Abende, improvisiert Theateraufführungen oder hält Diskussionsrunden ab, die Themen, wie die „NS-Vergangenheit unserer Heimat“, „Sexualität und Kirche unter Bischof Krenn“ aufzugreifen, über die, ginge es nach dem Willen einiger Bürger der Stadt, man zu Schweigen hatte.
Im oberen Stockwerk des alten Gasthofes werden in einer Vernissage, Werke des unglaublich begabten, jungen Grieskirchner Malers, Roland Scheiböck, gezeigt, welcher erst durch seinen tragischen Selbstmord, von der Stadt, als begnadeter Künstler erkannt, geschätzt und dann von ihr, als großer Sohn der Heimat, vereinnahmt wird.
Alljährlich, am 24. Dezember, füllt sich die alte Gaststube des Rossmarkt 1 mit jenen, die die Geistlosigkeit einer sinnentleerten, traditionell-familiären Inszenierung der Weihnachtspassion, nicht länger ertragen können und sich in die Gemeinschaft Andersdenkender und Anders-seiender flüchten. Unerwünschte Geschenke werden gegen Fassbier, Schnaps oder einen Doppler Rotwein eingetauscht. Eng umschlungen, geeint in feierlichem Gedenken dieses besonderen Tages, lauthals zelebrierend, grölt Mann und Frau, mit vereinter Stimme zu Ambros’ „Heit drah i mi ham“ und „Mir geht es wie dem Jesus“
Mit jahrelanger Regelmäßigkeit werden Beschwerden von Anrainern wegen Lärmbelästigung, überschrittener Öffnungszeiten, Störung der öffentlichen Ordnung oder zu lautem, heiter-fröhlichen Lachens, ignoriert. Die Nachbarn revanchieren sich in täglichem Klatsch und Geschwätz, mit Verdächtigungen und falschen Anschuldigungen, sich ständig, selbst übertreffenden, ins fantastisch, gesteigerten Gerüchten über „diesen Hort des Lasters, wo sich, auf unsere Kosten! (sic), ein links-radikales, arbeitsscheues, asoziales Gesindel, Haschisch in die Venen spritzt!“
Eine öffentliche Erregung
Als eines Sonntagmorgens, eigentlich ziemlich unauffällig gestaltete Plakate, auf den Strassen auftauchen, die zu einem „Saugeilen Osterfest, mit allem Scheiß, der so dazu gehört“, laden, wird die äußerste Grenze dessen, was eine gutbürgerliche Stadt bereit ist zu ertragen, bei weitem, überschritten. Wegen eines profan-vulgären Adjektivs, welches, glaubt man den führenden RepräsentantInnen der Pfarrgemeinde, die Freude über die Auferstehung Jesu Christi, in gänzlich unpassender Form ausdrückt, platzt der Stadt Grieskirchen, ihr viel zu eng geschnürter Kragen.
Diese impertinente, in der 400-jährigen Stadtgeschichte, sicherlich beispiellose Ehrenkränkung, braver, sonntäglicher Kirchgänger, ist ein Frontalangriff auf die Werte-Welt eines jeden anständigen Stadtbewohners und rechtfertigte die Notwendigkeit einer unverzüglich einberufenen Sitzung des Gemeinderates. In einer hitzigen Debatte stoßen Appelle der Toleranz gegenüber Andersdenkenden auf die Blut-und-Boden-Ideologie einer freiheitlichen Politikerin, welche dem unbändigen Treiben, jener gefährlichen „linksradikalen Zelle“, ein jähes Ende bereiten will. Letztendlich genügt eine offizielle Entschuldigung von seitens des Rossmarkts, um die ganze Angelegenheit vollkommen unspektakulär zu beenden.
Das Versprechen der feinen Herrschaften
Wenn jahrhundertelange Tradition eines lehrt, so ist dies, dass Beharrlichkeit und beständiger Druck, schlussendlich selbst den zähsten Gegner in die Knie zwingt. Manchmal bedarf es jedoch dem Einsatz von Brachialgewalt, in der Form von Kettensägen, gegen wehrlose Kastanienbäume, um den Widerstand einer kleinen Gruppe von Freidenkern gegen den konservativen Kreuzzug einer elitären Oberschicht von „feinen Damen und Herren“ zu brechen.
Mit dem Argument, die Gebäudesubstanz des alten Kaiserwirtshauses sei vollkommen desolat und somit einsturzgefährdet, wird dem „Kulturverein Rossmarkt 1“, ein gerichtlicher Antrag zur Räumung zugestellt und eine öffentliche Diskussion um den Abriss des ältesten Holzhauses in Grieskirchen begonnen. Eine unerwartete und eindrucksvolle Welle der Solidarität, die sich weit über die Stadtgrenzen von Grieskirchen erstreckt, lässt so manchen Lokalpolitiker, im Angesicht der Allmacht des Wählerwillens, schnell seine Meinung ändern und verhindert somit die Zerstörung des historisch wertvollen Gebäudes.
Ein humorloser Aprilscherz über den Abriss des alten Gashauses, falsche Versprechungen und die wage Zusicherung der neuen Besitzer, die Möglichkeit einer Rückkehr der „Rossmarktler“ in das frisch-renoviertes Gebäude zu erwägen, machten den Kulturverein heimatlos. Man war auf Herbergssuche und wird sarkastisch auf das neu errichtete Veranstaltungszentrum Manglburg verwiesen, vorausgesetzt man könne sich die Miete leisten und der Betreiber ist mit dem Aufführungsprogramm einverstanden.
“Jeder Täter kehrt zu seinem Tatort zurück”
Als die neuen Besitzer, alles feine, gutbürgerliche und angesehene Herren der Stadt, eine sanfte Renovierung des alten Gasthauses ankündigen und der damalige Innenminister, der inzwischen, wegen Bestechlichkeit, zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilte gebürtige Grieskirchner, Ernst Strasser, sich vor laufender Kamera damit brüstet, ein Gründungsmitglied des Kulturvereins gewesen zu sein (der Wahrheitsgehalt dieser Angabe konnte vom Autor nicht auf seine Richtigkeit überprüft werden) , lebt noch ein kleines Fünkchen Hoffnung, dass der Kulturverein, in einen neu renovierten Rossmarkt 1, einziehen könnte.
Volkstümliche Freudigkeit
Natürlich hat man, nach der erfolgreichen Renovierung des alten Kaiserwirtshauses, ganz andere Pläne, als einem unbequemen und unbezähmbaren Kulturverein, ein Zuhause in einer Stadt zu bieten, welche sich endlich, nach fast 25 Jahren, von den anders-denkenden Unruhestiftern befreien konnte, welche sich, um keinen Preis der Welt, der traditionsverliebten Gleichförmigkeit der geliebten Heimatstadt Grieskirchen unterordnen wollten.
Zur Eröffnung der neuen Jausenstation im alten Gasthaus, lässt der liebe Herrgott die Sonne vom Himmel lachen. Es blasen die Jagdhornbläser, dass es eine Freud’ ist. Eine Fassbier-anstechende Bürgermeisterin, zapft köstlich kühles Freibier. Ein konservativer Landeshauptmann, grinst dämlich in die Kameras und warnt, immer noch dämlich grinsend, vor der Gleichstellung gleichgeschlechtlich Liebender, da jene das althergebrachte Grundbild der Familie abwerten.
Alle sind sie heute gekommen, die guten Bürger und arbeitsamen Bauern von Grieskirchen, die feine Gesellschaft und ein paar weniger feine, wegen des Freibiers. Stolz tragen manche ihre aufgeputzten Trachten zur Schau, schütten sich krügerlweise mit kühlem Grieskirchner Bier zu und stopfen sich eine zünftige Jause ins Gesicht. Abends schunkelt man lustig zu Volksmusik und ist zufrieden. Ja, heute, da feiert man sich selbst. In Grieskirchen ist die Welt wieder heil.
Na dann, Prost Mahlzeit!